Vor der letzten Runde gegen Bayern waren meine Gedanken vor allem von einem Gefühl dominiert. Nein, es war nicht Anspannung. Wozu auch? Das Team hatte schon Großartiges geleistet, noch ein Sieg wäre "nur" ein Sahnehäubchen. Aber die Vorstellung, Deutscher Vizemeister zu werden, ließ mich ebenfalls nicht los. Zumindest in den Momenten, in denen ich klar denken konnte, da mich die Müdigkeit schon dominierte.
Die Mission "Phönix aus der Asche" startete mit einem Start-Ziel-Sieg für Stela Moldovan. Erneut wurde in der Württemberger Kochstube eine perfekte Vorbereitung gezaubert. Nach ungefähr zweieinhalb Stunden wurde das bayerische Brett 5 ordentlich bedient und wir gingen 1-0 in Führung. Auch Daniil Yasmo entfesselte seinen inneren Steffen Henssler. Daraus resultierte eine scharfe Mittelspielstellung mit heterogenen Rochaden. Wer mal von mir trainiert wurde, kennt die wichtigsten drei Pläne in solchen Stellungen: 1. Königsangriff 2. Königsangriff und 3. Königsangriff. Daniils Angriff war stärker als der seines ukrainischen Kollegen und so stand es schon 2-0. Bei Lennart Naumanns Vorbereitung gingen wir mit einem stark gewürzten Kochrezept ein hohes Risiko ein. Lennart hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren und vielleicht könnte er für eine Überraschung sorgen. Leider erwies sich sein Gegner doch als zu stark in der ungewöhnlichen Stellung, dadurch verkürzte Bayern. Für das erste Kribbeln im Bauch sorgte Sztella Balazs. In einer komplexen Sveshnikov-Mittelspielstellung bewies sie, dass sie taktisch auf der Höhe war. Die Gegnerin schien nervös zu sein (nach der Partie schnappte ich den Kommentar "was habe ich da nur gemacht??" auf), so konnte Sztella schnell einen Mehrturm ihr Eigen nennen. Genug, um zu gewinnen.
Es ergab sich somit die klare Tendenz eines Württemberger Sieges, während Baden, unfreiwillig zu siebt am Brett, gegen Hessen mit scheinbar unlösbaren Aufgaben zu kämpfen hatte. Mit diesen Zutaten könnte die Vizemeisterschaft aus dem Ofen kommen. Jedoch ging das nicht ohne eine Prise Drama. Daniel Nunez Grégoire hatte das Geschehen im Blick und bot seinem Gegner Remis an. Dieser stand auf und inspizierte alle laufenden Partien. Er kam wohl zum selben Schluss wie ich, dass Weiterspielen sinnlos war – Alberto Atoyans Stellung gab nichts her und so viele vorteilhafte Stellungen hatte Bayern nicht mehr. Also Remis an Brett 1. Zeitgleich bot Tiffany Tus Gegnerin Remis an. Ich konnte nur machtlos zusehen, wie Mannschaftsführer Colin Ensslinger ihr empfahl, das Remis anzunehmen. In meinem Kopf wiederholte ich pausenlos die Aufforderung "los Tiffany, nimm an" in der Hoffnung, sie würde meine Gedanken lesen. Jedoch lehnte Tiffany ab, weil sie Sorgen um den Brettpreis hatte! Danach brauchte ich erstmal etwas Abstand vom Geschehen.
Meine Schwarzmalerei war jedoch unbegründet. Zwar verlor Tiffany zwei Bauern, aber ihre Gegnerin bot noch einmal Remis und beim zweiten Mal zeigte sich der kleine Star doch einsichtig. Nur kurz danach konnte sich mein Herzschlag vollends beruhigen. Nick Retzlaff verteidigte umsichtig und nutzte einen Fehler des Deutschen Meisters U10, Aadith Ranganathan, aus, um sofort ein Remis zu forcieren. Colin sorgte für Ergebniskosmetik, indem er sich ebenfalls stark verteidigte und ein Remis-Endspiel "falscher Läufer + Randbauer" erzwang.
Summa summarum ein 5-3 gegen Bayern, während Baden gegen Hessen nicht über ein 4-4 hinauskam. Damit waren wir ganz klar "best of the rest". Letztes Jahr noch katastrophal Viertletzter (Württemberg), Vorletzter (Baden) und Letzter (gemeinsames Team), war die Wiederauferstehung schneller gekommen als erwartet. Vizemeister Württemberg und der 3. Platz für Baden.
Sztella (6,5/7) und Tiffany (5,5/7) holten sich die Preise für ihre Leistungen an den Brettern 7 und 8. Siehst du, Tiffany, du hättest dir nie Sorgen machen müssen :)
Insgesamt ein tolles Erlebnis und ein Beleg dafür, dass ein guter Teamgeist deutlich wichtiger als Elo sein kann. Die Stimmung im Team war stets harmonisch. Nordrhein-Westfalen konnten wir in diesem Jahr zwar nicht aufhalten, aber vielleicht nächstes Jahr, wenn alle noch ein Jahr trainieren.
Alle Ergebnisse hier:
https://www.deutsche-schachjugend.de/2025/dlm/
